Inseln der Menschlichkeit. Rückblick auf ein Jahr Krieg

30. Juni 2023

Hilfe für Menschen, die von einem Krieg betroffen sind, gehört zu den selbstverständlichen Aufgaben der Diakonie.

Inseln der Menschheit. Rückblick auf ein Jahr Krieg
30. Juni 2023 - Inseln der Menschlichkeit. Rückblick auf ein Jahr Krieg

Das galt für den Krieg in Syrien vor zehn Jahren, das gilt auch für den Krieg in der Ukraine. Wir helfen den Ukrainern in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche sowohl in Tschechien als auch in der Ukraine.

Viki und Karin fragen ungeduldig, wann die nächsten Kinder ankommen, mit denen sie heute Lebkuchen aus Linzer Teig backen sollen. Dann wollen sie die Lebkuchen mit weißer und roter Glasur verzieren. Aber jetzt im Februar geht die Grippe um, deshalb ist nicht klar, ob überhaupt noch jemand kommt. Die beiden Vorschulmädchen verkürzen sich die Wartezeit, indem sie auf einer Tafel malen und in Kinderbüchern stöbern. Viki sagt in solidem Tschechisch Kinderverse auf.

Schließlich wird die Gruppe noch durch den 12-jährigen Dominik ergänzt, der allerdings gekommen ist, um Mathe-Nachhilfe zu geben, sodass die Mädchen mit ihm nicht viel erleben werden. Ihr Moment kommt erst, als im Club Lávka der Diakonie von Jaroměř eine Mutter mit ihrer Tochter, die ebenfalls etwa 12 Jahre alt ist, auftaucht. Sie besuchen den Club zum ersten Mal, denn sie sind erst im Dezember aus der Ukraine nach Tschechien gekommen. Die Tochter geht noch nicht zur Schule und jetzt ist es an der Zeit, dass sie damit anfängt. Die Mutter berät sich darüber mit Oxana, einer Mitarbeiterin des Clubs. Um ihre Tochter kümmern sich derweil Viki und Karin, die sichtbar glücklich sind, eine neue ältere Freundin in die örtlichen Gepflogenheiten einweihen zu können.

Slawische Verständigung ist nicht genug

Der Club in Jaroměř ist für ukrainische Kinder und Erwachsene da. Die Kinder haben hier nicht nur Spaß, sondern finden auch Freunde, Unterstützung durch Nachhilfeunterricht und ein offenes Ohr – hier können sie jemandem anvertrauen, was sie bedrückt. Den Erwachsenen helfen die Mitarbeiterinnen des Clubs dabei, Termine mit Ärzten zu vereinbaren, Arbeit zu finden, sie erklären, wie in der Tschechischen Republik Gesetze und ungeschriebene Gesetze funktionieren und wo man Kleidung oder Nahrungsmittelhilfe bekommen kann. Zweimal pro Woche finden hier auch Tschechisch-Sprachkurse statt. Diese sind besonders wichtig. Tschechen und Ukrainer können sich mit etwas gutem Willen und mit Hilfe von Gesten über alltägliche Dinge verständigen, aber für Verhandlungen mit Behörden, Schulen und beim Versuch, Arbeit zu finden, reicht diese slawische sprachliche Verständigung nicht aus.

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„Wir tun einfach alles, um den Flüchtlingen den Aufenthalt in Tschechien zu erleichtern“, sagt die Leiterin des Clubs Lávka, Svitlana Danylenko. Sie weiß, wie wichtig das ist. Sie selbst kam vor einem Jahr hier in Jaroměř an – mit einem Koffer in der einen und ihrer Tochter an der anderen Hand.

Genau wie Svitlana fand Yulia Arbeit bei der Diakonie. In Prag besuchte sie einen Tschechischkurs, heute leitet sie eine kreative Werkstatt für das diakonische Zentrum für nationale Programme und Dienste. Nadiia wiederum arbeitet in der Küche der Diakonie Dvůr Králové (dt. Königinhof an der Elbe). Ihre 90-jährige Mutter wird in einem örtlichen Seniorenheim betreut. Einen ziemlich einzigartigen Service bietet das diakonische SOS-Zentrum in Prag an. Die Psychologin Olena Novitska unterstützt hier Flüchtlinge professionell in ukrainischer Sprache.

Insgesamt beschäftigt die Diakonie 50 Frauen aus der Ukraine. Dank der großen Bandbreite ihrer Angebote in der ganzen Republik hilft sie Tausenden von Frauen und Kindern bei der Integration – ähnlich wie in Jaroměř. Hilfe geht aber auch direkt in die Ukraine.

Friedlicher Himmel

Der Krieg beraubte Stanislav seines Geschäfts, aber nicht des Wunsches, etwas für die Menschen und seine bedrohte Heimat zu tun. Da er in Friedenszeiten mehrere Restaurants leitete, musste er jetzt nicht viel nachdenken. Er nutzte seine Erfahrung in der Gastronomie und gründete eine Organisation, die Mahlzeiten für Bedürftige zubereitet und ausliefert. Ihr Name ist Myrnenebo – Friedlicher Himmel.

Heute steht Stanislav an der Spitze von fünf Sozialküchen. 130 Freiwillige sorgen täglich dafür, dass 12 000 warme Mahlzeiten an Menschen verteilt werden, die in Kriegsgebieten ohne Gas, Strom und Wasser ausharren. Hilfe war besonders in den Wintermonaten wichtig. Diese konnte auch dank der tschechischen Spender geleistet werden, die die Ukraine durch das diakonische Zentrum für humanitäre und entwicklungspolitische Zusammenarbeit unterstützen.

Dank des Zentrums kann auch die kleine tschechische humanitäre Organisation Pax in der Nähe der Kriegsfront tätig sein. Sie hilft Ukrainern, die sich weigern zu gehen, obwohl ihnen buchstäblich Bomben auf den Kopf fallen. Ihre Entschlossenheit mag unvernünftig erscheinen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie Medikamente, Öfen, Windeln, Winterreifen und andere lebensnotwendige Dinge brauchen, die vor Ort nicht erhältlich sind. Die Wagemutigen der Organisation Pax bringen sie ihnen. Den Gemeinschaften, die an den Rändern von Kriegsgebieten oder auch mitten darin überleben, erweisen sie sich als kostbare Inseln der Menschlichkeit.

Licht im Dunkeln

Ende Februar fand in der evangelischen Kirche Sankt Martin in der Mauer in Prag ein Treffen mit dem Titel „Licht im Dunkeln“ statt. Zum Jahrestag des Beginns der russischen Aggression gegen die Ukraine versammelten sich hier Vertreter der Kirche, der Diakonie, aber auch Ukrainer, um auf das vergangene Jahr zurückzublicken, das unerwartet intensiv war. Trotz all der Dunkelheit brachte es jedoch auch helle Momente. Man erwartete, dass die Ukraine dem Ansturm der „zweitstärksten Armee der Welt“ nachgeben würde. Nach einem Jahr zeigt sich jedoch, dass die Länder ihre Unabhängigkeit immer noch verteidigen, auch wenn noch nicht klar ist, innerhalb welcher Grenzen.

Man erwartete, dass die europäischen Ländern lieber die Finger von der Ukraine lassen würden. Das jedoch geschah nicht.

Wer hätte in Tschechien eine solche Bereitschaft erwartet, Raum und Ressourcen mit Tausenden von Flüchtlingen zu teilen? Als die Diakonie und die Evangelische Kirche vor Jahren einigen wenigen Menschen halfen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen waren, mussten sie der ablehnenden Hysterie eines großen Teils der tschechischen Gesellschaft standhalten. Es gibt auch heute noch starke Stimmen gegen Migranten, aber ihnen wird kein Gehör geschenkt. Stattdessen helfen Tausende Tschechen im Stillen, wo es nötig ist.

Es gilt jedoch auszuharren. Selbst wenn sich die Ukraine von den Besatzern befreit und der Krieg beendet wird, bedeutet das nicht, dass es Frieden gibt. Auch weiterhin wird eine enorme Menge an Mut, Unnachgiebigkeit und gutem Willen erforderlich sein.

  • Die Diakonie der EKBB und die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder helfen fast 6 000 ukrainischen Flüchtlingen bei der Integration in der Tschechischen Republik. Die Hälfte davon sind Frauen, der Rest Schul- und Vorschulkinder.
  • Spender aus der Tschechischen Republik haben die Aktivitäten der Diakonie bisher mit einem Betrag von mehr als 15 Millionen Kronen unterstützt.

Weitere Partnerorganisationen helfen mit Geldern aus der Spendensammlung der Diakonie:

  • Evakuierung von Waisen und obdachlosen Kindern aus der Region Kiew (unmittelbar nach dem Angriff im Februar 2022)
  • Unterstützung von Binnenvertriebenen
  • Bereitstellung humanitärer Hilfe (Lebensmittel, Medikamente, Hygieneartikel usw. )
  • Mitwirkung an der Evakuierung von Menschen im Gebiet Donezk

Adam Šůra