Die Konferenz von Studierenden eröffnete im Senat offiziell die Internationalen Tage gegen Rassismus

30. Juni 2023

Die Internationalen Tage gegen Rassismus finden zum zweiten Mal auch in Tschechien statt und stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Steh nicht am Rande …“ 

Eine Konferenz von Studierenden eröffnete im Senat offiziell die Internationalen Tage gegen Rassismu
30. Juni 2023 - Die Konferenz von Studierenden eröffnete im Senat offiziell die Internationalen Tage gegen Rassismus

Offiziell eröffnet wurde das Treffen durch eine Studierendenkonferenz mit demselben Titel, die am Dienstag, dem 21. März 2023, im Senat des Parlaments der Tschechischen Republik im Wallensteinpalais in Prag stattfand.

Senatskonferenz für Studierende

Während der Konferenz sprachen Vertreter von Minderheiten, Vertreter des Staates und Botschafter von Menschenrechtsorganisationen. Es wurde auch über die aktuelle Situation der ukrainischen Flüchtlinge in Tschechien gesprochen.
„Der Wunsch nach Unabhängigkeit führt manchmal dazu, dass man sich ein wenig von der Gesellschaft distanziert und sich nur um sich selbst und seine Bedürfnisse kümmert. Ich freue mich, dass sich heute viele Menschen hier versammelt haben, die nicht abseits stehen wollen und sich für die Rechte anderer interessieren“, begrüßte Joel Ruml, emeritierter Synoden-Senior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder und zugleich Vorsitzender der Menschenrechtskommission, die Zuhörer. Eben diese Kommission hatte ursprünglich die Idee für diese bereits zweite Senatskonferenz für Schülerinnen, Schüler und Studierende aus ganz Tschechien. 

Daran knüpfte Pavel Hošek, Religionswissenschaftler an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität, mit seinem Beitrag an, indem er erklärte, warum wir Christen uns überhaupt mit Menschenrechten beschäftigen. Er zitierte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, griff aber auch das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter auf. „Die Antwort auf die Frage ‚Wer ist mein Nächster?‘, wie sie uns diese Geschichte bietet, hat einen Vorteil gegenüber dem UN-Dokument: Sie ist nicht abstrakt. Es ist ein Abdruck des Lebens. Wir können uns in diese Situation hineinversetzen, sie uns vorstellen. Es ist uns nicht egal, was dort passiert und wie es ausgeht. Es ist eine Geschichte, die die Herzen der Menschen verändern kann“, sagte Hošek und machte damit einen Vorschlag, wie man über das Thema Menschenrechte nachdenken sollte. 

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Seiner Ansicht nach bietet das Christentum eine Schatzkammer konkreter Geschichten. Nicht nur die biblischen, sondern auch andere Geschichten von Glaubenszeugen in der Vergangenheit (wie beispielsweise Mutter Teresa). „Am Ende der Geschichte vom Samariter steht die Aufforderung Jesu: ‚Geh hin und handle auch so‘“, sagte Hošek und betonte, dass diese Geschichten das Herz entzünden und zum Handeln motivieren. Nicht als erhabenes Ideal, sondern als ganz konkrete und bewährte Lebensaufgabe.  

Der Bürgerrechtler David Tišer stellte das Thema Mehrfachdiskriminierung vor. Er veranschaulichte es am Beispiel der Roma, die zur LGBT+-Gemeinschaft gehören. „Ein Rom, der von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert wird, findet Zuflucht, Verständnis und Unterstützung zumindest in der Familie oder in der Gemeinschaft, in der er lebt. Aber Roma, die noch dazu LGBT+-Gruppen angehören, finden oft keinen Zufluchtsort, nicht einmal bei ihren Angehörigen. Wenn sie sich zu einer anderen sexuellen Orientierung bekennen, laufen sie Gefahr, von ihrer Familie getrennt zu werden, oft sogar von der Gegend, in der sie bisher gelebt haben“, so Tišer.  

Im Vormittagsblock sprach auch der Mitbegründer des Michal-Velíšek-Preises Vítězslav Vurst. Diese Auszeichnung wird von der ADRA-Stiftung an gewöhnliche Menschen verliehen, die unerwartet in eine Grenzsituation gerieten und ohne Rücksicht auf die Folgen für sich selbst die Gesundheit oder das Leben eines Menschen retteten. Die Auszeichnung geht auf einen Cutter des Fernsehsenders Nova zurück, Michal Velíšek, der im September 2005 bei einem Spaziergang mit einem Kinderwagen auf dem Prager Karlsplatz einem angegriffenen Mädchen zu Hilfe kam. Der Angreifer richtete die Waffe auf ihn und erschoss ihn.  

Vurst hob dabei eine überraschende Erkenntnis hervor, über die sich Preisträger, die noch Kinder sind, in vielen Fällen einig waren: Wenn sie jemandem helfen wollten und auf öffentliche Plätze rannten, ignorierten die erwachsenen Passanten sie, verweigerten die Hilfe und gingen gleichgültig weiter.  

Wie in der anschließenden Diskussion deutlich wurde, hat der gewählte Titel der Konferenz eine doppelte Bedeutung. Einerseits ist er ein Aufruf an die Minderheit: „Habt keine Angst, bleibt nicht verborgen, kämpft für eure Rechte!“, andererseits ist er ein Appell an die Mehrheitsgesellschaft: „Seid aktiv für die Rechte anderer. Steht nicht am Rande und ergreift Partei!“  

Diejenigen, die nicht am Rande gestanden haben 

Im Nachmittagsblock dauerten die Beiträge der einzelnen Redner nicht länger als fünf Minuten. Sie alle hatten versucht, sich Gefahren oder Menschenrechtsverletzungen entgegenzustellen. Die Organisatoren hatten sich auf Geschichten von Menschen konzentriert, die nicht abseits standen, sondern aus ihrer Komfortzone heraustraten, um etwas in ihrer Umgebung zu verbessern, jemandem zu helfen, sich für etwas einzusetzen.

Am Rednerpult wechselten sich folglich in rascher Folge verschiedene Redner ab, zum Beispiel der evangelische Vikar Benjamin Roll, der mit der Organisation „Milion chvilek“ [„Millionen Augenblicke“] mehr als 300 000 Menschen auf der Letná-Ebene versammeln und ihr Interesse an Politik als Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten wecken konnte, des Weiteren Anna Polcková, evangelische Pfarrerin aus Bratislava, deren Gemeinde sich um verschiedene Minderheiten kümmert und in der Slowakei eine einzigartige Stimme der Hilfe ist. Oder der Rettungssanitäter Jan Dubový, dessen Reise mit einem Krankenwagen in das ukrainische Kriegsgebiet, wo er ein Mädchen mit Behinderung rettete, auch weltweit in den Medien Resonanz fand.

Außerdem sprach der Preisträger des Michal-Velíšek-Preises, Ladislav Bezděk. Er hatte sich auf einem Parkplatz für eine unbekannte Frau eingesetzt. Der Angreifer richtete die Waffe gegen ihn und stach ihm mehrmals mit einem Messer in den Hals und in den Rücken. Hilfe erlangte Bezděk erst nach einem weiten Weg und nachdem er viele gleichgültige Passanten angesprochen hatte. Eine ähnliche Geschichte erzählte auch der Polizist Jan Beran: Außerhalb seiner Dienstzeit rettete er zwei Menschen aus einem brennenden Haus, von denen eine an einen Rollstuhl gefesselt war. Als er am Unglücksort ankam, hatte sich dort bereits eine Menschenmenge versammelt. Aber niemand versuchte irgendwie zu helfen – die Leute beobachteten nur die Szene, filmten mit ihren Handys oder riefen ihre Bekannten an.

Robert Netuka alias „Tukan“ widmet sich dem Genre Poetry Slam, hat Roma-Wurzeln und kommt aus Nordböhmen. Er arbeitet beruflich in einer Flüchtlingshilfsorganisation und brachte für seinen Auftritt sowohl sein poetisches Talent als auch seine berufliche Erfahrung ein, indem er sein „Gedicht“ vorstellte, das er zur Zeit der sogenannten syrischen Flüchtlingskrise verfasst hatte, die letztlich überhaupt keine Krise war.

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Lenka Králová ist Moderatorin der Sendung „In Tranz“, zu der sie Gäste einlädt und mit ihnen über Probleme spricht, die mit einer Geschlechtsumwandlung verbunden sind. Sie brachte auf dieser Konferenz auch einige rechtliche Hürden und menschlich sensiblen Zusammenhänge zur Sprache.

Der ehemalige Bergmann und engagierte Menschenrechtsaktivist Jožka Miker erzählte von seiner Hilfe für verschiedene Gruppen der Gesellschaft – Roma, ukrainische Flüchtlinge, Obdachlose … Unter anderem sprach er über den beharrlichen und letztlich auch erfolgreichen Kampf für die Schließung eines Schweinemastbetriebs am Ort des ehemaligen Roma-Konzentrationslagers in Lety u Písku.

Im nächsten Block stellte sich der Psychologe des Innenministeriums Štěpán Vymětal vor, der darüber sprach, wie die menschliche Psyche angesichts einer Krisensituation funktioniert. Was bewirkt, dass ein Mensch nicht gleichgültig bleibt, sondern hilft, sich einsetzt … Mit einer ähnlichen Botschaft trat auch der Präsident des Senats ans Rednerpult, Miloš Vystrčil, unter dessen Schirmherrschaft die ganze Veranstaltung stand. Er appellierte an die Teilnehmer, ein wenig taub zu sein gegenüber all jenen, die behaupteten, dass etwas nicht möglich sei, keinen Wert habe oder es sinnlos sei, etwas zu versuchen. In der Gesellschaft bewegten gerade diejenigen etwas, die sich nicht von Skepsis oder Gleichgültigkeit abschrecken ließen.

Der zweite Jahrgang von Gewinnern des Schülerwettbewerbs steht fest

Über 140 Zuhörer, hauptsächlich Schülerinnen und Schüler von Grund- und weiterführenden Schulen aus dem ganzen Land, nahmen auf den Senatsbänken Platz. Der Appell „Steh nicht am Rande …!“ war nämlich auch das Thema des Literatur- und Audiovisionswettbewerbs, der gemeinsam von der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, der Organisation Post Bellum und der Stiftung Albatros ausgeschrieben wurde. Und gerade die Teilnehmer des Wettbewerbs bildeten einen wesentlichen Teil des Publikums im Senat, denn am Ende der Konferenz fand die feierliche Bekanntgabe der Ergebnisse und die Preisverleihung an die Gewinner statt.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten Essays, Betrachtungen, Geschichten, Erzählungen, Bilder oder sogar Gedichte eingesandt. Schließlich kamen fünfzig Werke zusammen, aus denen die Fachjury insgesamt neunzehn Arbeiten in verschiedenen Alters- und Themenkategorien auswählte und prämierte.

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Ein wichtiger Bestandteil war in diesem Jahr auch die Beteiligung ukrainischer Flüchtlinge. „Seit über einem Jahr leben sie bei uns, sie sind unsere Klassenkameraden, Kollegen, Nachbarn. Sie haben oft sehr schwierige und traurige Geschichten mitgebracht, und einige fangen hier ganz von vorne an. Dennoch ist die Begegnung mit ihnen äußerst bereichernd. Neue Freundschaften entstehen, unsere Horizonte erweitern sich und sie lehren uns Demut. Wenn es in unserer Macht steht, versuchen wir, nicht am Rande zu stehen, sondern vollwertig zu leben. Gleichzeitig erinnern wir daran, dass der Krieg in der Ukraine auch unsere Angelegenheit ist. Dass es uns betrifft, und dass wir die Gräuel, die Russland dort verübt, nicht ignorieren können", erläutern die Organisatoren die Beweggründe für die Teilnahme ukrainischer Schülerinnen und Schüler am Wettbewerb.

Diese hatten die Aufgabe gehabt, ihren tschechischen Klassenkameraden einen Brief darüber zu schreiben, wie sie hier leben, was sie erleben oder was sie ihren tschechischen Freunden mitteilen möchten.
„Die schrecklichen Ereignisse, die derzeit in der Ukraine stattfinden, erlebt jedes Kind auf seine Weise. Meine Tochter zeigte keine Emotionen, sie schwieg nur. Nach unserer Ankunft in der Tschechischen Republik haben wir versucht, uns nicht daran zu erinnern, was uns alles passiert ist, um sie nicht noch mehr zu traumatisieren. Die Entscheidung, am Wettbewerb teilzunehmen, war jedoch einstimmig, und das Schreiben des Beitrags bot die Möglichkeit, über alles zu sprechen, zu verstehen, was meine Tochter fühlt, und das in einem solch kreativen Format … Das ist jetzt sehr wichtig für uns! Danke!“, schrieb eine Mutter an das Organisationsteam.
Vor der Bekanntgabe der Wettbewerbsergebnisse sprach der Sicherheitsanalytiker David Stulík, der die letzten zehn Tage vor der Konferenz in den vom Krieg betroffenen Ostteilen der Ukraine verbracht hatte und allen Teilnehmern die aktuelle Situation und Prognosen für die mögliche Entwicklung beschrieb.

Mit der Konferenz wurden die Internationalen Tage gegen Rassismus offiziell eröffnet

Die Veranstaltung im Senat markiert den offiziellen Beginn der Internationalen Tage gegen Rassismus, die von der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in Tschechien eingeführt wurden.
„Sich offen und deutlich gegen Rassismus zu stellen, hilft letztendlich der gesamten Gesellschaft. Denn auch Gruppen, die am Rande stehen, können sich sicher und voll einbringen und sie mit ihrer Andersartigkeit bereichern“, erinnert der evangelische Pfarrer für Minderheiten und Hauptinitiator der Idee der Internationalen Tage gegen Rassismus, Mikuláš Vymětal.

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Das Thema Rassismus wird – ähnlich wie in Deutschland, wo diese internationale Veranstaltung ihre Wurzeln hat – in einem breiteren Sinne betrachtet. Es geht nicht nur um Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, sondern auch um Aspekte wie Nationalität, sexuelle Orientierung, Religion, Zugehörigkeit oder Respekt gegenüber irgendeiner Minderheit usw.

Die Tage gegen Rassismus finden in Form von Dutzenden von Begegnungen in ganz Tschechien statt – neben thematischen Gottesdiensten in evangelischen und hussitischen Gemeinden sowie an anderen Orten gibt es auch Begegnungen mit Gästen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge, Filmvorführungen und das Kennenlernen der Bräuche und Traditionen anderer Kulturen oder Minderheiten. Alle Veranstaltungen findet man auf der Website protirasismu.e-cirkev.cz.

Und warum gerade „gegen Rassismus“? Vymětal warnt vor Gleichgültigkeit: „Es ist nicht leicht, über Rassismus zu sprechen, aber ihn zu ignorieren, bedeutet, ihn zu unterstützen.“

Die Konferenz wurde mit einem Zuschuss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern finanziell unterstützt.

Jiří Hofman