Die Böhmischen Brüder in Zeiten der Corona-Pandemie

22. April 2020

Tschechien lebt wie die meisten Länder in Europa ganz im Bann der Corona-Pandemie. Die Regierung hat hier relativ schnell auf das Corona-Virus reagiert und schon am 12. März den Notstand ausgerufen.

Die Böhmischen Brüder in Zeiten der Corona-Pandemie
22. April 2020 - Die Böhmischen Brüder in Zeiten der Corona-Pandemie

Tschechien lebt wie die meisten Länder in Europa und weiten Teilen der Welt ganz im Bann der Corona-Pandemie. Anfang März 2020 sind die ersten Fälle aufgetreten, importiert aus Italien und den USA. Im Laufe des März hat sich dann auch in Tschechien das Corona-Virus ausgebreitet und breitet sich immer noch aus. Die Regierung hat hier relativ schnell auf das Corona-Virus reagiert und schon am 12. März den Notstand ausgerufen. In wenigen Tagen wurde das öffentliche Leben fast gänzlich lahmgelegt. Zunächst wurden Direktflüge von China nach Prag untersagt und kurz darauf wurden schon die Grenzen geschlossen. Außer den Lebensmittelgeschäften und Drogerien und einigen wenigen anderen Geschäften wurden alle Geschäfte geschlossen, ebenso Restaurants. Der Hotel-Betrieb wurde weitgehend eingestellt. Der Tourismus kommt in kürzester Zeit zum Erliegen. Veranstaltungen aller Art werden verboten und das Kontaktverbot eingeführt, das es nicht erlaubt, dass sich mehr als zwei Leute treffen, wenn sie nicht zum selben Haushalt gehören. Alle Menschen in Tschechien sind verpflichtet, außerhalb ihrer Wohnung einen Mund- und Nasenschutz zu tragen – immer und überall, auch im Fernsehen.

Da bei der Einführung der Verpflichtung, einen Mund- und Nasenschutz zu tragen, ein solcher kaum zu kaufen war (es gab ihn schlicht nicht), hat sich schnell eine Bewegung entwickelt, diesen Schutz selber anzufertigen. Jeden Tag wurden im Fernsehen neue Initiativen vorgestellt, wo überall ein solcher Schutz genäht wird und mit wieviel Freude das gemacht wird. So sind heute alle (in vielen Formen und Farben) vermummt unterwegs, ein spezielles Bild. Doch hat man fast schon den Eindruck, dass wir uns schnell an diese neue Form des Schutzes gewöhnt haben. Da ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen zur Risiko-Gruppe gehören, haben sich schnell Initiativen gebildet, bei denen jüngere und auch ältere Freiwillige anbieten, für die gefährdeten Menschen einzukaufen, den Hund auszuführen oder auch andere notwendige Dinge zu erledigen.

Wie reagiert die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) mit ihren Gemeinden auf die Corona-Pandemie? Wie alle Veranstaltungen, so sind auch alle Gottesdienste untersagt. Das heißt alle Veranstaltungen, bei denen sich Menschen an einem Ort versammeln. Was vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist heute in unserer Kirche fast schon normal. Menschen treffen sich digital, virtuell zum Gottesdienst, zum Kaffee, zur Bibelstunde und zum Pfarrerstreffen. Ja, sehr vieles findet digital statt. Aus der realen Welt hat sich nicht nur das kirchliche Leben in eine elektronische Welt verlagert, zu der doch sehr viele Menschen, wenn auch bei weitem nicht alle, Zugang haben. Vor einigen Jahren wurde in unserer Kirche eine einheitliche E-Mail-Adresse eingeführt und mit den gleichen Buchstaben auch die Web-Seite der EKBB: www.e-cirkev.cz . Církev heißt Kirche und das E steht für Evangelisch und für Elektronisch. So sind wir nun also gegenwärtig gezwungen, die elektronische Seite des E ganz ernst zu nehmen- und das tun wir auch.

Die Web-Seite der EKBB war noch nie so lebendig wie in diesen Wochen. Seit 17. März kann man jeden Morgen eine Andacht auf der Web-Seite anhören – und zwar mit Gebet, Bibeltext und Segen. Die Andachten werden von Pfarrerinnen und Pfarrern der EKBB gestaltet, die mit einem einladenden Bild vorgestellt werden. So sind inzwischen mehr als 30 Andachten vorhanden, die jederzeit angehört werden können. Diese Andachten lassen etwas von der Vielfalt erleben, die es in unserer Kirche gibt. Ebenfalls für jeden Tag gibt es ein Abendgebet, das von einem Laien geschrieben ist. Beides ergänzt sich sehr schön. Für den ausländischen Besucher der Web-Seite ist es schade, dass dies alles auf Tschechisch ist, sodass man ohne Tschechisch-Kenntnisse vom Inhalt nicht so viel mitbekommt. Doch es lohnt sich trotzdem, einmal auf diese Seite zu schauen, um zu sehen, wie sich hier Andacht an Andacht reiht, mit fröhlichen und dem Leben zugewandten Pfarrerinnen und Pfarrern. Und genauso interessant ist die schon beachtliche Sammlung von Abendgebeten.

Doch dies ist bei Weitem nicht alles, was es auf der Web-Seite gibt. Da gibt es zahlreiche Angebote von Gemeinden bei Bohoslužby on-line, (auf Deutsch: On-line Gottesdienste). Hier ist die ganze Vielfalt von technischen Möglichkeiten vertreten: Gottesdienst-Aufzeichnungen im Video, Direkt-Übertragungen am Sonntagmorgen mit Bild und Ton, oder auch nur mit Ton. Dann gibt es viele schriftliche Angebote für den Gottesdienst und die Andacht zu Hause: Predigten, Lesungen, Gebete. Es gibt Gebetsbrücken in Gemeinden und On-line-Cafés. Der Phantasie setzen nur die technischen Möglichkeiten Grenzen.

Ich selbst habe in Vertretung unserer Pfarrerin in der deutschsprachigen Gemeinde in Martin in der Mauer erlebt, wie wir zunächst mit Skype und dann mit ZOOM on-line Gottesdienste gefeiert haben, die wirklich eine neue Art der Begegnung ermöglichen. Wir mussten von Skype auf ZOOM umsteigen, da die große Zahl von Teilnehmenden die Möglichkeiten von Skype überfordert hat. An den letzten Sonntagen waren es maximal 36 Computer, die zugeschaltet waren, also so bis zu 80 Personen aus Prag und ganz Europa. Das war nun das ganz Neue, dass ehemalige Gemeindeglieder, Verwandte oder Freunde der Gemeinde sich von überall zuschalten konnten. So brauchte man nur den Anmelde-Code und schon ist man dabei. Wir haben es so gemacht: ab 10.10 Uhr stand die Leitung und jede und jeder konnte sich zuschalten, mit Wort und Bild. So war es möglich, sich zu grüßen und auszutauschen über alles Neue und vor allem auch darüber, wie es einem geht in diesen etwas seltsamen Zeiten. Um 10.30 Uhr beginnt dann die Andacht, die eine gute halbe Stunde dauert und aus vier Wohnungen gesendet wird. Die Kuratorin begrüßt und macht die Abkündigungen. Eine Familie macht Musik, spielt und singt Lieder zum Mitsingen, aus einem anderen Wohnzimmer kommen die Lesungen und schließlich aus dem vierten die Liturgie und die Predigt. Während der Andacht ist nur auf Sendung, wer gerade dran ist. Doch nach der Andacht können sich wieder alle zuschalten, zum digitalen Kirchenkaffee. Wenn es schon on-line sein muss: eine schöne Erfahrung, so miteinander verbunden zu sein im Hören auf Gottes Wort, im Singen und Beten.

Nach diesem Exkurs über die Praxis der deutschsprachigen Gemeinde nochmals ein Blick auf die Web-Seite der EKBB. Denn da gibt es noch eine weitere Kategorie, die neu ist: „Církev doma“ heißt es da, Kirche zu Hause. Ein riesiges Angebot an Video-Aufzeichnungen von Gesprächen, zum Beispiel mit dem Synodalsenior, an Präsentationen für Erwachsene, für Kinder und Jugendliche. Hier findet wirklich jede und jeder etwas. Man braucht nur etwas Geduld, um die verschiedensten Perlen aufzuspüren. So klicke ich gerade auf ein kleines Video, in dem ein Pfarrer in seiner Kirche sitzt und ganz leger erzählt, was es für ihn bedeutet, Gottesdienst zu feiern. Erfrischend ist oft die zivile Art, wie hier erzählt wird. Das wären sicher interessante Videos auch für Menschen, die von der Kirche nichts wissen, die vielleicht auf der Suche sind. Oder da ist ein Pfarrer, der den diesjährigen Evangelischen Kalender vorbereitet hat. Für diesen Zweck hat er viele Kolleginnen und Kollegen gebeten, interessante Geschichten aus ihrem Pfarrersalltag zu erzählen. Eine schöne und humorvolle Sammlung ist da zusammen- gekommen, mit dem schmunzelnden Hinweis, dass der Pfarrer ja auch nur ein Mensch ist. Und nun liest dieser Pfarrer alle Beiträge vor. Damit wird der Kalender noch wesentlich lebendiger. Und es ist einfach schön, dies anzuhören.

Die Web-Seite der EKBB – ein lebendiges Schatzkästlein, das sehr viel zu bieten hat. Da kann man nur hoffen, dass dies auch genutzt wird und viele sich einladen lassen, dieses Angebot zu nutzen. Sicher studieren die Verantwortlichen auch aufmerksam, wie die Resonanz auf dieses Angebot ist, was gut ankommt und wieviele Menschen sich einklicken und einige Zeit dabeibleiben. In jedem Falle sind die Web-Seiten der Zentrale wie der einzelnen Gemeinden sehr viel mehr Hör-und Sehseiten geworden, als nur Leseseiten, wie dies lange Zeit war. Und dies trägt sicher zur Lebendigkeit der Seite bei.

Auf der Web-Seite der Böhmischen Brüder gibt es auch einen Link zur Diakonie der EKBB. Bei der Diakonie kommen wir auf eine Web-Seite unter dem Titel „Wir sind bei Ihnen auch in Zeiten der Krise“. Und da findet man auf der Seite verschiedene Möglichkeiten, Hilfe als Freiwilliger anzubieten oder um Hilfe zu bitten. Es gibt ein Krisentelefon für ganz Tschechien, an das man sich mit Fragen aller Art wenden kann. Die Diakonie stellt auf einer Landkarte von Tschechien ihre Möglichkeiten zu helfen vor. In jedem Falle ist auch die Diakonie eine gute Adresse in dieser Krisenzeit.

Was geschieht in den Gemeinden außer den virtuellen Angeboten? Aus verschiedenen Gemeinden weiß ich, dass es einen Telefondienst gibt, der sich bemüht, alle Gemeindeglieder und Freunde und Freundinnen der Gemeinde anzurufen, von denen man weiß, dass sie allein sind oder krank oder in irgendeiner Weise Hilfe brauchen. Auch Einkaufdienste werden in manchen Gemeinden für Ältere organisiert. Und natürlich sind auch hier Mund- und Nasenschutz genäht worden.

Nach fünf Wochen im Notzustand gab es nun ab 20. April erste Lockerungen im Bereich des Sports, im Bereich der Schulen beginnen langsam wieder einige Aktivitäten. Diese und weitere Lockerungen sind möglich, da die Regierung die Entwicklung der Corona-Virus-Pandemie im Land insgesamt positiv einschätzt. Fast jeden Tag war die Rede davon, dass wir keine italienischen oder spanischen Verhältnisse in Tschechien wollen und dass deshalb die Einschränkungen ziemlich radikal sind. Und in der Tat, verglichen mit vielen anderen Ländern sind die Zahlen der Erkrankungen und der Sterbefälle relativ niedrig. Zum heutigen Tag wird von 178 000 Tests berichtet. Ca. 7000 Personen wurden vom Corona-Virus infiziert, 200 Menschen sind im Zusammenhang mit dem Virus verstorben und ca. 1800 Menschen wurden bis jetzt geheilt. Darauf ist die tschechische Regierung stolz und sieht sich in ihrer restriktiven Politik bestätigt. Bis jetzt war die Politik relativ einmütig und auch die Opposition hat die Maßnahmen der Regierung mitgetragen. Dies ändert sich jetzt. Es wird über die Beendigung der Notstandszeit diskutiert. Der Regierungschef Babiš mit seiner Bewegung/Partei ANO will Ende April die Notstandszeit beenden. Der kleinere Koalitionspartner Jan Hamáček mit seiner sozialdemokratischen Partei will den Notstand bis in die Mai verlängern. Die Entscheidung ist noch offen, doch Hamáček wird kaum eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zusammenbekommen. Kleine Oppositionspartein sind dabei, manche Schritte der Regierung durch das Verfassungsgereicht prüfen zu lassen, z.B. ob es rechtlich ok ist, wenn die Regierung rigoros die Grenzen zumacht.

Natürlich beschäftigen sich Regierung und Parlament auch damit, wie man den Menschen, der Wirtschaft, den Betrieben und allen, die unter den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus leiden, helfen kann. Und natürlich wird auch darüber gestritten. Dies ist ein weites Feld und soll hier nicht Gegenstand meines Berichts werden. Natürlich ist die Situation, dass von heute auf morgen das Leben in den meisten Bereichen der Gesellschaft fast auf Null gefahren wurde, für viele sehr bedrückend und Existenz-bedrohend. Ein Bereich von vielen ist der Tourismus, der für Tschechien eine groß

e Rolle spielt. Die leeren Hotels und Restaurants und alles, was mit dem Tourismus zusammenhängt betrifft nicht nur in Prag sehr viele Menschen und Betriebe. Hier ist natürlich die Frage sehr spannend, wann die Grenzen wieder geöffnet werden, wann wieder Touristen ins Land kommen können…. Darüber wird viel spekuliert. Und immer wieder sagt ein Politiker, dass es vielleicht ein oder auch zwei Jahre dauern könnte, bis sich das Leben wieder normalisiert und ein freies Reisen wieder möglich ist. Für Pendler über die Grenze gibt es jetzt schon kleine Erleichterungen, aber insgesamt wird in diesem Bereich viel spekuliert.

Bis jetzt ist geplant, dass es alle zwei Wochen Lockerungen geben soll. Auch im Blick auf die Möglichkeit von Gottesdiensten, die bis zum 26. April strikt verboten sind. Ab Montag, 27. April, also praktisch ab Sonntag, 3. Mai, sollen Gottesdienste erstmals mit max. 15 Personen möglich sein, ab Sonntag, 17. Mai werden 30 Personen am Gottesdienst teilnehmen können, ab Sonntag, 31. Mai (Pfingsten) können es 50 Personen sein. Normaler Gottesdienst ohne Beschränkung der Teilnehmerzahl soll dann ab Sonntag, den 14. Juni, möglich sein. Dies alles gilt freilich wiederum unter der Bedingung, dass sich die Zahl der Neuinfizierten nicht wesentlich erhöht. Neben diesen Zahlenregelungen gibt es eine lange Reihe von Bedingungen, die eingehalten werden müssen wie: Zwei-Meter-Abstand, Desinfektion der Hände vor dem Gottesdienst, Mund- und Nasenschutz…. Die Entscheidung, was in den einzelnen Gemeinden wie gemacht wird, liegt bei den Kirchenvorständen, natürlich immer unter Beachtung der staatlich angeordneten Maßnahmen.

Synodalsenior Daniel Ženatý hat das Motto geprägt „Víru si chraň, viru se braň!“, auf Deutsch etwa „Bewahre dir den Glauben und vor dem Virus schütze dich!“ Im Tschechischen klingt das Wort Glaube (víra) und das Wort Virus fast gleich, im Deutschen habe ich kein ähnliches Wortspiel gefunden. Doch darum geht es ja in diesen so seltsamen Wochen: dass wir unseren Glauben bewähren in dieser Situation und herausfinden, wie wir im Glauben mit dieser Situation umgehen können. Dieses Nachdenken ist eine langfristige Aufgabe, auch wenn wir sicher im Glauben sagen können: Gott lässt uns auch in der Corona-Krise nicht allein. Und schützen müssen wir uns natürlich wie alle vor der Ansteckung durch das Virus. Doch wir müssen uns wohl auch vor vielem Anderen schützen: vor der Angst, die es uns schwer macht zu atmen, vor der Angst vor meinen Mitmenschen, die mir plötzlich alle als Gefährder begegnen. Schützen müssen wir einander auch davor, dass wir uns nicht von der Corona-Krise unseren Glauben und unser Denken vernebeln lassen! Die Corona-Pandemie bleibt wohl noch lange eine globale und immense Herausforderung, auch für die Kirchen. Nehmen wir doch diese Herausforderung an!

 

Prag, den 22. April 2020

Gerhard Frey-Reininghaus (e-cirkev.cz)